Wie Marken Kunden für immer enttäuschen
Enttäuschte Kunden verlassen Marken oft leise, aber endgültig. Laut einer Studie sind es oft die kleinen Dinge, die zur Trennung führen.
13. November 2025
Lesezeit: 6 Min
Inhalt
Unechtheit als Vertrauensbruch
Es gibt Momente, in denen ein einziger Satz eines Konsumenten alles auf den Punkt bringt: „Irgendwas stimmt da nicht mehr.“ Oft lässt sich der Auslöser kaum greifen. Preis, Qualität und Design stimmen – und dennoch spüren Menschen, dass etwas stinkt. Genau diese Verschiebung steht im Mittelpunkt einer neuen Studie der George Mason University, in der untersucht wurde, wie Konsumenten reagieren, wenn sie eine Marke als unecht erleben. Das Ergebnis ist eindeutig: Enttäuschung ist kein oberflächliches Gefühl, sondern ein tiefer Vertrauensbruch.
Authentizität entsteht im Kopf
Die Forscher Jessica Hoppner und Russell Abratt zeigen in ihrer Untersuchung, dass Authentizität kein objektiver Wert ist, den Marken durch Kommunikationsmaßnahmen herstellen können. Authentizität wird im Kontext der Beziehung zwischen Marke und Verbraucher definiert. Das bedeutet: Die Echtheit einer Marke entsteht nicht in Strategiepapieren, sondern im Erleben der Menschen.
„Authentizität wird im Kontext der Beziehung zwischen Marke und Verbraucher definiert“
Jessica Hoppner
Für ihre Studie befragten die Wissenschaftler 218 Teilnehmer über Amazons Mechanical-Turk-Plattform. Die Befragten sollten Situationen beschreiben, in denen sich eine Marke nicht so verhalten hatte, wie sie es erwartet hatten. Die Berichte betrafen 156 Marken – vom globalen Konzern bis zum Alltagsprodukt. Entscheidend war weniger das Produkt selbst als das Gefühl: ein kurzer Moment, in dem etwas nicht mehr stimmte.
Wut, Angst und Enttäuschung
Aus den geschilderten Erfahrungen lassen sich drei emotionale Reaktionen erkennen: Wut, Angst und Enttäuschung. Jede entwickelt eine eigene Dynamik. Wut äußert sich unmittelbar. Menschen beschweren sich, hinterlassen negative Bewertungen und wenden sich ab. Angst hingegen ist diffuser. Sie entsteht, wenn etwas nicht stimmt, aber unklar bleibt, warum. „Angst ist sehr vieldeutig“, sagt Hoppner. „Oft wissen wir gar nicht genau, was passiert ist, warum es passiert ist und wer schuld ist.“ Genau dieses Nichtwissen öffnet Raum für Spekulationen – und Marken verlieren die Kontrolle über ihre eigene Geschichte.
Die schwerwiegendste Reaktion ist die Enttäuschung. Während Wut laut ist und Angst suchend bleibt, ist Enttäuschung still. Enttäuschte Konsumenten ziehen sich zurück, ohne eine Beschwerde zu formulieren. Sie wechseln zum Mitbewerb, ohne sich zu erklären. Für Marken ist das fatal, weil dieser stille Loyalitätsverlust kaum messbar ist. Enttäuschung ist kein Sturm – sie ist das lautlose Weggehen.
Was die Neurowissenschaft sagt
Der Neurowissenschaftler Martin Reimann konnte zeigen, dass Markenverrat im Gehirn ähnliche Reaktionen auslöst wie zwischenmenschlicher Verrat. Marken, die wir über Jahre nutzen, denen wir vertrauen oder deren Werte wir teilen, werden zu emotionalen Bezugspunkten. Wenn sie plötzlich anders handeln als erwartet, fühlt sich das nicht wie ein Fehler an, sondern wie eine Kränkung.
Diese Erkenntnis erklärt, warum Marken, die gegen ihre eigenen Werte verstoßen – oder bloß gegen das Bild, das die Menschen von ihnen haben –, oft mit unverhältnismäßig starkem Vertrauensverlust kämpfen. Wir reagieren nicht rational auf Markenbrüche, sondern emotional: verletzt, verunsichert oder enttäuscht.
Marken scheitern an kleinen Dingen
Auch in meinen Analysen stelle ich immer wieder fest, dass Marken selten an großen Krisen scheitern. Sie verlieren die meisten Kunden durch kleinen Inkongruenzen. Eine Bank, die Transparenz verspricht, aber Gebührenänderungen unklar kommuniziert. Ein Händler, der sich als „nahbar“ versteht, aber beim ersten Problem automatisierte Antworten schickt. Ein Unternehmen, das Nachhaltigkeit betont, aber Verpackungen verwendet, die nicht dazu passen.
„Unechtheit ist ein Problem für Marken-Manager, da sie jeder Menschen anders empfindet.“
Jessica Hoppner
Nichts davon ist ein dramatischer Regelbruch. Für Konsumenten entsteht aber die Empfindung: „Das seid nicht ihr.“ Marken leben nicht von ihren Claims, sondern von der Kongruenz zwischen Anspruch und Verhalten. Wenn diese Kongruenz brüchig wird, reagieren Menschen empfindlich – und oft endgültig.
Ich habe ein Unternehmen beraten, das jahrelang für persönliche Betreuung stand. Als interner Effizienzdruck wuchs, wurden digitale Prozesse eingeführt. Die Umstellung war unternehmerisch sinnvoll, wurde aber den Kunden nicht klar kommuniziert. Für das Management war es eine logische Weiterentwicklung, für die Kunden ein Bruch der Beziehung. Genau in solchen Momenten entsteht jene Diskrepanz, die Hoppner und Abratt als Auslöser für Marken-Unechtheit beschreiben.
Was Marken jetzt tun müssen
Eine Marke kann Fehler machen. Was sie nicht tun darf, ist, die Beziehung zu ihren Kunden aus den Augen zu verlieren. Authentizität entsteht durch Übereinstimmung zwischen Erwartung und Erfahrung – nicht durch möglichst viele Botschaften. Eigentlich ist es ganz einfach: Marken sollten – wie wir Menschen auch – ihr Versprechen so formulieren, wie sie es jeden Tag erfüllen können.
Als Markenberater ist es meine Aufgabe, Organisationen dabei zu begleiten, diese Beziehung zu pflegen – aufrichtig, nachvollziehbar und konsistent. Markenführung ist kein Designprojekt, sondern am ein Beziehungshandwerk. Und am Ende ist es immer dieselbe Regel: Marken scheitern nicht an Fehlern, sondern an Unechtheit, nicht an großen Skandalen, sondern an kleinen Verletzungen. Denn eine enttäuschte Marke enttäuscht nicht nur Erwartungen – sie enttäuscht Menschen.
Fazit
Marken scheitern selten an Fehlern, aber oft an Unechtheit. Wenn das erlebte Verhalten nicht mehr zum inneren Bild der Konsumenten passt, entstehen Wut, Angst oder stille Enttäuschung. Die neue Forschung zeigt: Authentizität ist keine Frage des Marketings, sondern der gelebten Beziehung.
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* Unverbindliche Preisempfehlung
Armin Bonelli
13. November 2025
Lesezeit: 6 Min


